Podiumsgespräch beim Frühjahrsempfang (v. li.): Pfarrer Jetter, Philosophin Bahr und Intendant Mahr. Foto: Haar:

Starkes Plädoyer
für Bollwerke
der Demokratie

Auf dem Frühjahrsempfang des Forum Hospitalviertel im Renitenztheater hoben Gäste und Akteure in Zeiten, in denen  die Demokratie von vielen Seiten bedroht wird, die Bedeutung von zivilgesellschaftlichen Initiativen, der Kultur sowie der Wissenschaft hervor. Landtagspräsidentin Muhterem Aras wünscht sich daher: „Anstatt immer nur gegen etwas zu sein, wünsche ich mir, dass die Menschen ein Bild zeichnen, in welcher Gesellschaft sie leben wollen. Und dass sie dafür eintreten.“

 

Von Martin Haar

Zusammenleben. So lautete das Motto des Frühjahrsempfangs des Vereins Forum Hospitalviertel im Renitenztheater. Dass es in diesen Tagen sehr unterschiedliche Vorstellungen zum Thema Zusammenleben gibt, zeigt sich bei den verschiedenen Demonstrationen in der Stadt. „Vielfalt tötet“, war dort auf Plakaten zu lesen. Und manch andere erschreckende, faschistische Botschaft mehr.

„Diese Vorstellungen von Zusammenleben geistern nicht nur als Ideen, Meinungen oder Theorien durch den Raum“, hob Forum-Vorstand Eberhard Schwarz bei seiner Begrüßungsrede vor rund 80 geladenen Gästen an und führte den Gedanken fort: „Sie bilden sich sichtbar ab in den Veränderungen unserer politischen und gesellschaftlichen Kultur weit über unsere Stadt und unser Land hinaus. Hautnah erleben wir, wie der Streit um die Form und die Kultur unseres Miteinander Raum greift und hereinwirkt bis in unsere Alltagsbegegnungen. Und, machen wir uns nichts vor: wir spüren das schleichend in unserem Miteinander.“

Aus diesem Grund freute sich Eberhard Schwarz und sein Vorstandsteam umso mehr diesen Abend im Renitenztheater mit Menschen zu feiern, denen das Miteinander in einer offenen und freien Gesellschaft am Herzen liegt. Mit Menschen, die einen untrüglichen Kompass für den Gemeinsinn besitzen und sich durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen: Wie etwa Kommunikation auf Augenhöhe oder dem Bewusstsein, dass Nähe und Vertrauen die Grundlage des Zusammenlebens sind. „Es gibt Menschen, die darauf setzen, dass Beziehungen, auch wenn sie gelitten haben, wieder wachsen oder sogar in neuer Qualität entstehen können“, sagte Schwarz und ergänzte, „und es gibt Menschen, die darauf vertrauen, dass es eine verantwortliche Aufgabe von Gesellschaften ist, die schwächeren Glieder zu schützen und zu stärken.“ Und natürlich gebe es auch diejenigen, „die wissen, dass Kulturen keine feststehenden Blöcke sind – dass sie es niemals waren, sondern dass sie sich immer wieder wechselseitig inspirieren und dass dies auf der kleinsten Ebene – in Stadtquartieren – im Zusammenleben spürbar und erlebbar ist“. Selbstredend gebe es auch die Menschen, „die die Erfahrung gemacht haben, dass es immer wieder die realen Begegnungen und Gespräche sind, die unsere Wirklichkeitswahrnehmung prägen – und verändern.“

Und genau für diese Menschen ist der Verein Forum Hospitalviertel seit dem Jahr 2002 ein verdichteter Ort, in dem diese Vision vom Zusammenleben umgesetzt wird. „Es ist unser Verein, der auf der Basis von wechselseitigem Vertrauen und wechselseitiger Unterstützung und Information ein gut funktionierendes Netzwerk aufgebaut hat, das einerseits die unterschiedlichen Akteure und Initiativen im Quartier nachbarschaftlich verbindet“, so Schwarz, „und andererseits das Quartier auch nach außen hinein in die städtische Politik, Kultur und Gesellschaft sichtbar und ansprechbar macht.“

Stichwort Quartier: Quartiere sind laut Eberhard Schwarz auch Dritte Orte. Sie seien für eine offene, freiheitliche Gesellschaft ebenso wichtig wie der erste Ort – das private Zuhause. Und der zweite Ort – die Schule oder der Arbeitsplatz. Sie hätten soziale Spielregeln und Voraussetzungen. Dritte Orte seien, so Schwarz, für die Förderung sozialer Integration und des Zusammenhalts wichtig. Mehr noch: „Quartiere wie des Hospitalviertel sind dazu geradezu prädestiniert“, glaubt Schwarz und untermauert dies mit seinen konkreten Erfahrungen. Nicht zuletzt aus Erfahrungen seines 26-jährigen Dienstes als Pfarrer der Hospitalkirche. „Unsere Erfahrung im Quartier ist“, sagte Schwarz, „es lohnt sich, in die reale, konkrete Begegnung – und immer wieder in kommunikative Vorleistung – zu gehen. Es lohnt sich, Komplexität auszuhalten und immer wieder neu den persönlichen Austausch zu ermöglichen.“

Kurzum: So wird das Quartier (und sein Forum) zum Spannungsfeld demokratischer Prozesse. Und zum Spannungsfeld von nah und fern. Nicht zuletzt aus diesem Grund gab Forum-Vorstandsmitglied und Intendant des Renitenztheaters; Roland Mahr, dem Programmhöhepunkt den Titel Glokalität. Es ist ein Kunstwort  aus den Begriffen ‚global‘ und ‚lokal‘ und beschreibt die Verbindung sowie das Zusammenspiel von globalen Prozessen und lokalen Handlungsweisen. Gemeinsam mit der Philosophin Amrei Bahr und Pfarrer Benedict Jetter wagte es Mahr in einem 40-minütigen Podiumsgespräch die Komplexität dieses Spannungsfeldes fassbar zu machen. Während Jetter als Seelsorger viele demokratiewidrigen Handlungen von Menschen mit deren Angst erklärte, schlug die Juniorprofessorin der Universität Stuttgart einen anderen Weg ein. Sie verteidigte mit Vehemenz die Bedeutung von Wissenschaft, Kultur und zivilgesellschaftlichen Initiativen, wie etwa das Forum Hospitalviertel. Sie nannte Kultur und Initiativen „das Bollwerk der Demokratie“. Daher seien die Pläne der neuen Regierung in Berlin, gerade in diesen Zeiten hier den Rotstift anzusetzen „völlig falsch“: „Gerade jetzt müsste man eigentlich investieren statt zu streichen.“

Für Eberhard Schwarz war diese Forderung der Philosophin wie Wasser auf seine Mühlen. „Man darf nicht kaputtsparen, wo Menschen ohne Angst kommunizieren können“, sagte er. Damit dachte Schwarz natürlich auch glokal. Denn Berlin oder Stuttgart: die Bollwerke der Demokratie kämpfen allerorten um ihre Existenz. Bei Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne), die der Diskussion aufmerksam folgte, rannte der Forum-Vorstand damit offene Türen ein. Doch Aras, die als kluge Pragmatikerin gilt, gab allen im Theatersaal einen weisen Ratschlag mit auf den Weg ins Foyer zu Imbiss und Diskussionen. „Mir geht es heute, ob bei den Demonstrationen oder in den Debatten zu sehr um das Dagegensein.“ Sie wünsche sich vielmehr, dass die Leute couragiert und klar artikulierten, wofür sie seien. „Mir wäre es lieber“, sagte Aras, „die Menschen würden ein Bild zeichnen, in welcher Gesellschaft sie leben wollen. Und dass sie dafür eintreten.“

(Dritte) Orte oder zivilgesellschaftlich Strukturen für diese politische Meinungsbildung- oder Äußerungen gibt es. Besser gesagt: es gibt sie noch. Zuvorderst auf den Plätzen des Quartiers und dem Forum Hospitalviertel.

Auf der Gästeliste des Frühjahrsempfangs waren neben vielen Mitgliedern unter anderen:

Stellvertretende Bezirksbeirätin Dajana Hummel (FDP), Stadtrat Cornelius Hummel (FDP), Juliane Becker (FDP-Landtagskandidatin), Amrei Bahr (Juniorprofessorin für Philosophie der Technik und Information an der Uni Stuttgart, Stadtdekan Sören Schwesig, Hospitalkirchen-Pfarrer Benedict Jetter, StZ/StN-Lokalchef Jan Sellner, Alt-Stadtrat Michael Kienzle (Stiftung Geißstraße), Elke Uhl (IZKT/Uni Stuttgart), Dagmar Mikasch-Köthner (VHS) und Susanne Jakubowski (IRGW).