Eberhard Schwarz: "Es braucht diesen sozialen Kitt"

Über 20 Jahre Arbeit hat der Verein Forum Hospitalviertel inzwischen im Quartier geleistet. Für Vorstandsmitglied Eberhard Schwarz Anlass, gleichzeitig zurückzublicken und einen Ausblick zu wagen. Beim Blick nach vorn beschäftigt den Pfarrer der Hospitalkirche freilich auch die Frage nach der Förderung der Vereinsarbeit durch die Kommune. Im Hinblick zu den kommenden Haushaltsberatungen sagt er: „Da wir ein sehr kleiner Spieler auf dem großen Feld des Stadthaushalts sind, besteht immer die Gefahr, übersehen zu werden. Daher scheue ich mich nicht, in einer Diskussion darzustellen, dass wir zusammen mit der Politik und den Ämtern konstruktiv über das Thema Stadt nachdenken.  Und wir es immer wieder schaffen, Trendsetter-Themen zu setzen.“   

Herr Schwarz, der Verein Forum Hospitalviertel feierte zuletzt sein 20-jähriges Bestehen. Was ist von diesem Geburtstag am stärksten hängen geblieben?

Dass wir von großen Teilen der Politik – bis hin zur Landtagspräsidentin Muhterem Aras – große Wertschätzung für unsere Arbeit erfahren haben.

Was genau schätzen die verantwortlichen Politiker?

Unsere Impulse, die unsere Projekte in den Bereichen Bürgerbeteiligung und der Quartiersarbeit  in die Stadtgesellschaft
gesetzt haben. Dieses Echo hat uns natürlich sehr gut getan. Aber am wesentlichsten ist eigentlich, dass die Stadt in diesen zwei Jahrzehnten
Menschen gewonnen hat, die politisch aktiv und für Quartiere sozialsensibel geworden sind. Gerade dieses Engagement ist in diesen Tagen ja nicht mehr
selbstverständlich. Aus dieser Perspektive sind bei den Menschen Vertrauen und eine gute Nachbarschaft gewachsen. Und all das ist freilich mit unserer Arbeit verknüpft. Die Leute wissen inzwischen: Wenn das Forum kommt, dann ist das etwas Seriöses und Nachhaltiges.     

Sie nannten Muhterem Aras explizit. Welchen Anteil hat eine andere Frau, nämlich Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle, an der Erfolgsgeschichte des Forums?

Sie hat einen wirklich bedeutenden Anteil, weil sie sich über all die Jahre mit echter Aufmerksamkeit und Wertschätzung an unserer Entwicklung teilgenommen hat. Sie hat viele Projekte unterstützt und hat mitdiskutiert. Man kann fast von einem idealen Verhältnis zwischen Kommunalpolitik und
Beteiligungsinitiative sprechen. Natürlich besteht zwischen der Graswurzeldemokratie des Bezirksbeirates und uns zwangsläufig eine enge
Verbindung. Aber Veronika Kienzle hat diese eindrucksvoll mit ihrer Persönlichkeit geprägt – mit einer großen Freiheit und Unabhängigkeit von den
jeweiligen politischen Belangen.      

Was braucht der öffentliche Raum?

Lassen Sie uns zurückblicken: Aus welchem Antrieb heraus ist der Verein entstanden?

Aus einem ganz banalen Anlass. Es ging um die Sanierung des Hospitalhofs. Damals fragten wir uns, was braucht es denn noch um die Sanierung herum? Denn wenn man eine Immobilie nur von innen her entwickelt, verspielt man unglaublich viele Chancen, die Nachbarschaft mitzunehmen. Schnell wurde dann klar, dass der Hospitalhof mit seiner Bildungsarbeit genau diese Frage schon stellt: Wie verstehen wir die Welt? Bei dieser Arbeit kam sozusagen eine Initialzündung. Uns wurde damals klar, alles was wir als Kirche machen, machen wir auch für die Stadt. 

Was war das erste Projekt?

Wir begannen mit der Frage: Wie können wir den öffentlichen Raum, der damals ganz furchtbar war, wieder attraktiver gestalten. In diesen Tagen wird ein weiteres Sanierungsprojekt, die Hospitalstraße, abgeschlossen. Das Viertel bekommt dadurch und die Arbeiten am Synagogenvorplatz ein weitere attraktive Fläche. 

Was aber ist durch diese Projekte sonst noch entstanden? Was sind bleibende Werte?

Ich habe in dieser Zeit vor allem eines gelernt: Nämlich, dass die Arbeit nie abgeschlossen ist. Ich hätte nie gedacht, dass Bordsteinkanten auch in
Zusammenhang mit Inklusionsthemen stehen können. Viele harte Fakten stehen in Wechselwirkung mit ideellen Werten. Und zuletzt lernten wir auch etwas über das Wesen der Stadt.

Was verstehen Sie darunter?

Dass Stadt ein lebendiger Körper ist, der in steter Veränderung ist. Und wenn man da nicht aufpasst, die Veränderungen nicht positiv begleitet, erlebt man innerhalb von zwei Jahren eine radikale Negativentwicklung von Quartieren. Es braucht daher diesen sozialen Kitt, es braucht die Stimmen, die sagen: Wir wollen uns zusammen entwickeln.     

„Wir brauchen Leute, die anpacken“

Sie nennen es sozialen Kitt. Kitt ist im Fensterbau heute überflüssig. Passt die Symbolik auf die Bereitschaft der Menschen, sich zu engagieren?

Es hat sich tatsächlich etwas verändert. Das Leben ist komplizierter geworden. Jeder Einzelne hat mit seiner Baustelle, seinem Lebensweg, zu tun. Daher haben die Menschen immer weniger Zeit sich zu engagieren. Das andere Phänomen ist, dass Vereine heute nicht mehr als Massenbewegungen funktionieren. Sie brauchen starke Trägergruppen. Es braucht ein paar Leute, die den Karren ziehen und andere temporär und punktuell dazu holen. Langfristig müsste das Ziel sein, Menschen auf Dauer für ihr Habitat sensibel zu machen. Ohne starke Trägergruppen diffundiert alles.

Was bedeutet das für die Gesellschaft?

Dass sie angesichts dieser Entwicklungen mehr denn je solche Menschen und Vereine wie uns braucht, die für Überzeugungen einstehen und aus der Beobachterrolle heraustreten, um anzupacken.     

Was repräsentiert der Verein heute?

Er repräsentiert unter anderem ein gewaltiges Wissensreservoir, eine Idee für soziale Prozesse. Das Forum ist inzwischen eine politische Größe im Spielfeld
der Stadtgesellschaft. Daher wäre es schade, wenn man sich von so einem wesentlichen Spieler auf der untersten Ebene verabschieden würde.   

Das Quartier ist entwickelt, die Institutionen im Viertel haben ihren Platz und funktionieren. Wozu braucht es das Forum Hospitalviertel noch?

Ich glaube schon, dass dies punktuell funktioniert. Aber es braucht eben auch einen institutionellen Imperativ.

Was meinen Sie damit?

Es ist wie bei der Kindererziehung. Man vermittelt immer wieder, dass man nicht alleine auf der Welt lebt, sondern in einem größeren Zusammenhang. Zum Beispiel in einem Quartier. So etwas ergibt sich nicht zwangsläufig aus guten bilateralen Verhältnissen.     

„Wir sind wichtiger Gesprächspartner“

Inzwischen weist das Forum mit seiner Arbeit weit über das Quartier hinaus. Der Verein Leonhardsvorstadt hat unter anderen schon Rat bei Ihnen gesucht. Wie stark ist die Rolle des Quartiersentwicklugs-Experten inzwischen. Und gibt es weitere Beispiele des Wissenstransfers?  

Wir haben tatsächlich immer wieder Anfragen. Richtig toll waren die Gespräche mit den Gästen aus Nazareth oder aus Schweden und der Türkei – Gespräche, zu denen wir über die Bosch-Stiftung und das Amt für Integration der Stadt eingeladen wurden. Diese Gruppen wollten unsere Erfahrungen, wie auf kleinräumiger Ebenen Vernetzung sowie Sozialentwicklung funktioniert, einholen. Aber auch hier in der Stadt sind wir wichtiger Gesprächspartner der Bürgerstiftung, der Stadtteilvernetzer, der Architektenkammer oder dem Verein Leonhardsvorstadt. Wir sind da viel unterwegs. Zuletzt auch bei der Konzeption einer Vereinssatzung für einen muslimischen Begegnungs- und Gebetsraumes.

Es gibt Gedankenspiele die Arbeit des Forums durch Strukturen in der Stadtverwaltung zu ersetzen. Was halten Sie davon?

Darin steckt ein Widerspruch in sich selbst. Weil unser Wissen ein kooperatives und Beteiligungswissen ist. Wenn man dieses Wissen weitergibt, muss man es
partnerschaftlich weitergeben. Top-down funktioniert das nicht. Es ist wie in der Pädagogik: Man muss selbst mit drinstecken, um zu lernen. Demokratie
verändert sich und braucht ständig neue Formen der Beteiligung. Genau das machen wir hier en miniature.    

Haben Sie dennoch die Sorge, dass manche das Forum für verzichtbar erachten?

Ja, das gebe ich offen zu: Ich habe Sorge, weil die Rationalität der Politik im Vierjahresrhythmus läuft. Und da die Leitmedien in der Stadt ihre Aufgabe aufgegeben haben, über politische Meinungsbildungsprozesse zu berichten, sorgt mich das umso mehr.  Wir sehen ja gerade in Frankreich,
wie den Bürgern ein Gesellschaftsentwurf um die Ohren fliegt. Auch die europäische Stadt hat sich verändert. Es ist eine komplexe Mischung aus
lokaler, globaler, digitaler Anwesenheit geworden. Umso dringlicher stellt sich die Frage: Was braucht so eine Stadt, damit sie funktioniert?

Und was braucht Stuttgart?

Es gibt in den großen Metropolen kaum noch Verwurzelung. Nur noch reale Begegnungen schaffen Identität und Verbindung. Daher müssen wir reale Begegnungen schaffen. Im Quartier, in der Stadt. Wir müssen Foren schaffen, wo sich Menschen treffen, austauschen und bestenfalls einbringen. 

In den kommenden Haushaltsberatungen geht es erneut um die Zukunft des Vereins. Gibt es Hinweise, wie sich der Gemeinderat zu einer weiteren Förderung des Forums stellt?

Es gibt zumindest keine negativen Hinweise. Aber das heißt noch nichts, da wir ein sehr kleiner Spieler auf dem großen Feld des Stadthaushalts sind. Da besteht immer die Gefahr, übersehen zu werden. Daher scheue ich mich nicht, in einer Diskussion darzustellen, dass wir zusammen mit der Politik und den Ämtern konstruktiv über das Thema Stadt nachdenken.  Und wir es immer wieder schaffen, Trendsetter-Themen zu setzen. 

„Junge Menschen zum Engagement ermuntern“  

Glauben Sie, Oberbürgermeister Frank Nopper weiß um die Bedeutung des Vereins?

Ich hoffe es. Wichtig ist es, dass ein paar Leute in seinem Umfeld von uns und unserer Arbeit wissen. 

Was ist Ihre Vision?

Wenn es uns gelingt, das Thema Subsidiarität, das Zusammenspiel von Zivilgesellschaft und Stadt noch stärker in den Mittelpunkt zu rücken, wäre das eine gute Sache. Und wenn es weiterhin gelingt, die Expertise der Wissenschaft miteinzubinden, dann wäre das ein Weg in die Zukunft.  Natürlich wäre es schön, wenn wir auch mehr junge Menschen zum Engagement ermuntern könnten.  

Stichwort Jubiläum: Nach 20 Jahren kommen 25 Jahre. Gibt es schon Pläne für diesen Geburtstag?

Es gibt in England die Initiative Coinstreet, die mich sehr beindruckt. Die haben tolle Arbeit in der sozialen Quartiersarbeit geleistet.
Aber von den Früchten dieser Arbeit weiß dort fast keiner mehr. Keiner weiß, wem sie die Quartiersentwicklung zu verdanken haben. Da brauchen wir auch eine evaluative und historische Wahrnehmung unser Arbeit. Wir brauchen ein Gedächtnis. Daher wäre es schön, wenn wir zum 25-Jährigen eine Publikation
erstellen könnten, die unsere Arbeit und die Entwicklung des Hospitalviertels fixiert.

Das Gespräch führte Martin Haar