"Für den neu gestalteten Straßenabschnitt der Hospitalstraße zwischen Fritz-Elsas-Straße und Gymnasiumstraße wird im Juni Richtfest gefeiert und zu einer Hocketse eingeladen. Das bindet die Leute", sagt Vorstandsmitglied Achim Weiler..

Eberhard Schwarz: "Nur noch reale Begegnungen schaffen Verbindung"

Quo vadis Innenstadt? Wohin steuern die Quartiere? Und welche Konzepte greifen gegen die drohende Vereinsamung der Stadtmenschen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Fachtag Quartiersentwicklung, bei dem das Forum Hospitalviertel vertreten ist und seit vielen Jahren selbst gute Ansätze zeigt.

Wohin steuern die Innendstädte? Was passiert mit den Quartieren ohne aktive Entwicklung? Was macht das mit den Menschen? Das Drohszenario wird dabei gerne mit dem Begriff der Verödung beschrieben. Daher veranstaltet OB Frank Nopper regelmäßig so genannte City-Gipfel. Aber auch das Land Baden-Württemberg ist an einer positiven Entwicklung der Quartiere interessiert. „Denn die Begegnung im öffentlichen Raum betrifft uns alle“, wie Staatssekretärin Ute Leidig zu Beginn des landesweiten Fachtag Quartiersentwicklung mit Beteiligung des Forum Hospitalviertel sagte und mit der zentralen Frage in die Veranstaltung führte: „Wie kann es gelingen, dass Orte zum Verweilen einladen, wie können wir sie gestalten, dass sie für alle Altersgruppen zugänglich sind.“

Immer wenn von allen Bürgern einer Stadtgesellschaft die Rede ist, sind oft vor allem ältere Menschen angesprochen. Denn sie seien oft von Einsamkeit betroffen. Daher ist für die Staatssekretärin wichtig, „alters- und generationsgerechte Quartiere“ zu entwickeln. Ein Thema, dem sich Susanne Bücker von der Deutschen Sporthochschule in Köln verschrieben hat. Ihr Vortrag des Fachtags „Wenn Begegnungen fehlen – Einsamkeit und ihre Folgen“ bündelte die (weltweite) Problematik sehr gut. Denn weltweit leben 330 Millionen Menschen ohne soziale Interaktion. Und hiervon sind nicht nur ältere Menschen betroffen. Das Phänomen hat offenbar seine Ursachen in der Digitalisierung. Die sozialen Medien haben offensichtlich einen erheblichen Anteil an der Vereinsamung.

Auch soziale Medien machen einsam

 „Eine Theorie besagt, wenn du mehr Zeit mit sozialen Medien verbringst, triffst du dich weniger mit Menschen. Du magst vielleicht nicht isoliert sein, doch du fühlst dich einsamer. Du fängst an, die Beziehungen, die Menschen haben, auszumalen und dir vorzustellen, dass sie besser sind, als sie tatsächlich sind. Wenn du dich dann mit Menschen triffst, werden deine Erwartungen regelmäßig enttäuscht, weshalb du weniger Zeit mit Menschen verbringst und vereinsamst“, sagt Jon Clifton, Chef des US-Meinungsforschungsinstituts Gallup.

Bei der Entwicklung der sozialen Medien und ihrer Nutzung sind Kommunen eher in der Zuschauerrolle. Aber durch die Stadtplanung sowie der aktiven Arbeit von Initiativen oder Vereinen, wie dem Forum Hospitalviertel, kann man der drohenden Vereinsamung etwas entgegensetzen. „Denn einer von zehn Menschen ist heute von Einsamkeit betroffen“, sagt Bücker. Wichtig dabei sei es dabei zunächst die Risikogruppen zu identifizieren, wie die Juniorprofessorin meint. Sie hat bei ihrer Forschung fünf Gruppen ausgemacht:

1.    Empfänger von Sozialleistungen/Menschen mit geringem Einkommen

2.    Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen

3.    Menschen mit Migrationsgeschichte

4.    Menschen mit psychischen Störungen

5.    Menschen in Pflegeeinrichtungen       

Die gesundheitlichen Folgen des Stigma Einsamkeit und der Verlust einer gesellschaftlichen Rolle seien sehr bedeutsam. Nicht zuletzt würde Einsamkeit auch zu einer höheren Sterblichkeitsrate führen. Mindestens genauso wichtig seien jedoch die sozialen Folgen: „Einsamkeit bedroht unsere Gesellschaft“, sagt Bücker. Sie habe demokratiegefährdende Tendenzen. Denn die soziale Abkopplung führe zu einem Rückgang des politischen und sozialen Engagements und des wahrgenommenen Zusammenhalts.    

Blaue Stühle setzen Maßstäbe   

Was also kann die (Lokal-)Politik konkret gegen die Vereinsamung tun. Auch hier hat Bücker eine Reihe an Vorschlägen. Sie unterteilt die Maßnahmen in vier Bereiche:

Gesundheit: Die Sensibilisierung von (Haus-)Ärzten für Einsamkeit, Unterstützung von Risikogruppen

(z. B. pflegende Angehörige), WLAN-Zugang in Pflegeeinrichtungen, Anpassung der Bedarfsplanung für Psychotherapeuten

 

Infrastruktur: Inklusiver und bezahlbarer ÖPNV, Platzierung von Sitzgelegenheiten auf öffentlichem Räumen, wie etwa die Blauen Stühle im Hospitalviertel oder dem Fußweg zur nächsten Bus-/Bahnstation.

 

Bildung: Berücksichtigung sozialer Beziehungen und Einsamkeit im Gesundheitscurriculum,

Nutzung öffentlicher Schulen für soziale Räume in den Abendstunden und/oder am Wochenende.

 

Wohnen: Bezahlbarer Wohnraum für alle Personengruppen, Ausbalancierung von privatem und öffentlichem Raum.

 

Die fünf geschäftsführenden Vorstände des Forum Hospitalviertel, Achim Weiler, Margarete Müller, Christoph Hölscher, Klaus Böhringer und Eberhard Schwarz sehen im Kampf gegen die Einsamkeit jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und damit auch als Aufgabe für das Forum selbst. Begegnungsräume im Quartier haben daher für das Forum seit je her einen wichtigen Stellenwert. Denn sie ermöglichen Teilhabe und Austausch von verschiedenen Menschen. So entstehen Gemeinschaften und ein Gemeinschaftsgefühl. Letzteres stärke schließlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt und hebt die Lebensqualität im Quartier.

„Es fehlen Sitzbänke im öffentlichen Raum. Sie helfen gegen Einsamkeit. Auf den Bänken am Feuersee sitzen täglich viele alte Leute und unterhalten sich angeregt und genießen es – oft kennen sie sich nicht mal beim Namen, sagt Christoph Hölscher: „Aber es fehlen nicht nur Sitzbänke am Ziel eines Spaziergangs, Sitzgelegenheiten sind auch auf dem Weg dorthin im Alter von großer Bedeutung. Meine 84 Jahre alte Nachbarin kann nicht mehr in ihre geliebte Hospitalkirche zum Gottesdienst gehen, da sie die 800 m dorthin zu Fuß nicht mehr schafft. Sie wünscht sich eine Pausenbank auf halber Strecke.“ Sein Vorstandskollege Achim Weiler ergänzt: „Je mehr Sitzmöglichkeiten im öffentlichen Raum und in den Fußwegen, desto besser wird die Aufenthaltsqualität und die Gelegenheit, sich zu treffen.“ Mit Blick auf das Hospitalviertel und die Aktivitäten des Vereins Forum Hospitalviertel sagt: „Zur Lebendigkeit unseres Viertels tragen wir mit den Quartiersfesten bei, eine Gelegenheit zum sich Kennenzulernen und miteinander zu Feiern. Für den neu gestalteten Straßenabschnitt  der Hospitalstraße zwischen Fritz-Elsas-Straße und Gymnasiumstraße wird im Juni Richtfest gefeiert und zu einer Hocketse eingeladen. Das bindet die Leute. Und schafft den direkten Zugang zur Synagoge und zur jüdischen Kultur. Schön wäre ein kleiner Markt auf dem Hospitalplatz, einmal in der Woche.“

Shopping nicht mehr das zentrale Erlebnis in der Stadt

Damit stellt sich für die kommenden City-Gipfel womöglich eine ganz neue Fragestellung. Nicht alleine die legitime Frage der Wirtschaftsförderung im City-Dialog, wie man Stuttgart noch besser als innovativen Standort vermarkten könne, ist in der Zukunft bedeutsam. Es geht vielmehr auch um soziale Entwicklung der Stadt und der dazugehörenden Rahmenbedingungen ihrer Quartiere. Zumal es unterschiedliche Studien zum Thema vitale Innenstädte gibt.

So behauptet Marktforscher Boris Hedde vom IFH Köln in seiner Studie „Vitale Innenstädte“ behauptet, dass mehr als 70 Prozent der Menschen wegen des Einkaufens nach Stuttgart kommen. Dagegen kommt eine Studie der Beratungsgesellschaft Cima zu einem anderen Ergebnis: Nämlich, dass Einkaufen nicht mehr die höchste Priorität bei den Besuchern der Innenstadt genieße. Vielmehr sei Shopping eine Generationenfrage. In der Studie heißt es wörtlich: „Die Innenstadt bedarf einer Neuausrichtung. Eine überwiegende Fokussierung allein auf Einkaufsmöglichkeiten sei nicht mehr ausreichend.

Eberhard Schwarz vom Forum sieht sich daher in seiner Meinung bestätigt: „Es gibt in den großen Metropolen kaum noch Verwurzelung. Nur noch reale Begegnungen schaffen Identität und Verbindung. Daher müssen wir reale Begegnungen schaffen. Im Quartier, in der Stadt. Wir müssen Foren schaffen, wo sich Menschen treffen, austauschen und bestenfalls einbringen. Begegnung findet nicht auf unseren Schreibtischen oder in unseren Köpfen statt. Es ist immer wieder der Alltag und der öffentliche Raum, der Menschen zueinander führt.“

 

Allerdings bedarf es auch hier der Konzeption und der Ausrichtung. Schwarz stimmt Staatssekretärin Ute Leidig und deren Eingangsfrage zu: „Wie kann es gelingen, dass Orte zum Verweilen einladen, wie können wir sie gestalten, dass sie für alle Altersgruppen zugänglich sind.“ Aus Sicht von Schwarz und dem Forum-Vorstand sei man im Hospitalviertel hier bereits seit längerer Zeit wegweisend unterwegs. Aber weil das Bessere der Feind des Guten sei, suche man nun nach weiteren Möglichkeiten der Begegnung im Quartier. In der Diskussion sind etwa Gartenprojekte oder Pop-Up-Aktionen. „Ziel aller Maßnahmen muss sein, Plätze oder Leerstände als spannende und verbindende Orte zu inszenieren“, meint Schwarz.

 Wenn Sie auch gute Ideen gegen die Einsamkeit haben, schreiben sie uns.   info@forum-hospitalviertel.de