Im Hospitalhof atmet gelebte Interreligiösität

Es ist gegründet! Am 14. Juni 2023 fand im Hospitalhof die Gründungssitzung des Vereins Muslimischer Begegnungs- und Gebetsraum Stuttgart statt. 22 Gründungsmitglieder hatten sich versammelt. Es war der Höhepunkt eines mehrjährigen Prozesses, der von der Landeshauptstadt Stuttgart – Abteilung Integrationspolitik- und dem Forum Hospitalviertel e.V. begleitet wurde.

Eines vorweg: Es war eine harmonische Veranstaltung in angenehmer Atmosphäre im Hospitalhof und dessen Rosengarten. Und obwohl nun erst der formale Akt der Gründung vollzogen ist, atmete dieser Tag bereits eine gelebte Interreligiösität. Das wurde 15 Minuten vor dem Beginn der Sitzung deutlich. Christoph Hölscher, Vorstand des Forums, wurde von den muslimischen Freunden gebeten, einen Raum zum Gebet zur Verfügung zu stellen. Man wolle niemanden stören, meinten die Teilnehmer respektvoll. „Da habe ich die Hospitalkirche angeboten“, sagt Hölscher, „wenn es für Sie kein Problem sei. War es nicht. Im Gegenteil. Und dann haben fast 20 Moslems und Muslima in der Kirche ihr Gebet verrichtet. Gott wird es nicht gestört haben und ich denke, das durfte ich, ist ja auch meine Kirche.“

Zum Hintergrund: In der Stuttgarter Stadtmitte wohnen und arbeiten zahlreiche Muslime. Stuttgart ist auch Ziel muslimischer Besucher aus aller Welt. Bei vielen von ihnen besteht das Bedürfnis, ihre Religion auch im Zentrum Stuttgarts zu leben und sich mit Angehörigen anderer Religionen auszutauschen. Es gibt zwar an etlichen Orten in Stuttgart Moscheen, Versammlungsstätten und muslimische Gebetsräume. Diese liegen aber nicht im Stadtzentrum oder stehen nicht für jeden Angehörigen des Islam offen. Verschiedene muslimische Gruppen vermissen daher in der Stuttgarter Innenstadt einen Ort der kulturellen und interreligiösen Begegnung, des Austauschs und der Religionsausübung. Für die Zivilgesellschaft kann es ein wichtiger Ort der Begegnung und ein Schaufenster muslimischen Lebens in Stuttgart sein.

Dabei kam das Hospitalviertel in den Fokus. Denn Architekturstudierende der Universität Stuttgart hatten im Jahr 2019 im Rahmen einer Abschlussprüfung die Aufgabe, Pläne und Modelle eines solchen muslimischen Begegnungs- und Gebetsraums zu entwerfen und dabei ein bestimmtes topographisch anspruchsvolles Grundstück im Hospitalviertel gedanklich als Bauplatz zugrunde zu legen. In der Folgezeit haben sich Vertreterinnen und Vertreter verschiedener muslimischer Gruppen auf der Suche nach Räumlichkeiten für Konzeptionsbesprechungen an das Forum Hospitalviertel gewandt und durch Vermittlung von Eberhard Schwarz mehrmals einen Saal im Hospitalhof zur Verfügung gestellt bekommen. Eberhard Schwarz und Christoph Hölscher haben an den Sitzungen beratend teilgenommen. „In den 20 Jahren des Bestehens unseres Vereins haben wir viele Erfahrungen gesammelt in Fragen der Kooperation mit verschiedensten Akteuren und sind gerne bereit, unser Wissen mit Initiativen zu teilen, die das Ziel der Gemeinnützigkeit haben“, sagt Schwarz.

Das Hospitalviertel beheimatet – historisch gewachsen – unterschiedliche christliche Gemeinschaften und konfessionelle Einrichtungen und ist mit dem Ort der Synagoge Zentrum der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs. Von daher ist der Gedanke, hier auch einen muslimischen Begegnungs- und Gebetsraum zu schaffen, auf den ersten Blick nahe liegend. Er kann zur Verständigung und zum besseren gegenseitigen Verständnis der Religionen beitragen, ein Ziel, dem sich auch das Forum Hospitalviertel e.V. verpflichtet sieht.

Zweck des nun gegründeten Vereins ist die Förderung der muslimischen Religionsausübung und des interreligiösen Austauschs. Hierfür soll ein Ort der deutschsprachigen Begegnung, des Austauschs und des gegenseitigen Verständnisses geschaffen und die Sichtbarkeit des muslimischen Lebens in Stuttgart in seiner ganzen Vielfalt gefördert werden. Außerdem soll die Begegnung im interreligiösen Sinne zwischen allen Weltreligionen und im intermuslimischen Sinne zwischen allen unterschiedlichen Lehren und Strömungen des Islams im Mittelpunkt stehen.

Die am 14. Juni 2023 beschlossene Satzung ist wegen der Anerkennung der Gemeinnützigkeit mit dem Finanzamt im Vorfeld abgestimmt worden. Sie wird dem Registergericht vorgelegt und der Verein wird dann als solcher eingetragen (e.V).

Das ist der Anfang der eigentlichen Arbeit: die Suche nach finanzieller Förderung, die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten, deren Ausgestaltung und insbesondere deren Nutzung im Sinne des Vereinszwecks.

„Wie ich gehört habe, ist die Initiative in Deutschland einzigartig“, sagt „Geburtshelfer“ Hölscher nicht ohne Stolz: „Angehörige unterschiedlicher Strömungen des Islams schaffen gemeinsam einen Ort, der allen Muslimen zum Gebet offen steht und dem friedlichen Gedankenaustausch über alle Religionsgrenzen hinweg dient.“